Goldkettchen

An manchen Tagen passiert so viel, man weiß gar nicht, was das Wichtigste ist, schießt es ihm durch die Gedanken, während er die Gläser in den Schrank räumt. Den vorerst letzten schönen Tag hatten sie fast komplett im Garten zugebracht und trotzdem war es spannend. Eigentlich hatten sie nur kurz den einen Komposter leeren wollen, um danach eine Stunde auf der Schwalbe, die wartend in der Garage steht, zu fahren. Für Herrn Nipp wäre es eine echte Übungsstunde gewesen, da er sich noch nicht so recht an das kleine Maschinchen traut. Dann aber hatte sie den ganzen Garten winterfest gemacht und er beide Komposter geleert, gesiebt, die Beete mit Kompost gedüngt und gegraben. Den einen hölzernen Kompostbehälter wieder mit frischem Material hefüllt. Bei der ganzen Buddelei waren zwei unerklärliche Goldkettchen aufgetaucht. Die wurden in ein Wasserbad gelegt. Sie hatten Besuch von einer Freundin bekommen und Kaffe getrunken, viel geredetund gelacht, auch über ernste Themen, weiteren Besuch von einem Freund mit „grauen Mäusen“ (das sind superleckere Rote Weinbergpfirsiche), viel geredet und dabei über die Vermehrung der Sumpfgladiole gefachsimpelt. Er hatte irgendwann zwischendurch Gelierzucker gekauft und Konfitüre gemacht. Herr Nipp liebt diesen ganz eigenen Geschmack des völlig roten Brotaufstrichs. Danach ging es an die Weitergabe des Obstes. Solche seltenen Früchte müssen gegessen werden, dürfen nicht verkommen. Abends also noch mal Besuch, drei lustige Abholer, Schwester, Nichte , Neffe, wovon letzte aber mehr am Teich interessiert schien. „Ich möchte auch einen haben.“ „Musst du viel graben.“ „Habt ihr das von Hand gemacht?“ „Uns hat ein Hubschrauber geholfen.“ “ Sehr lustig.“ Später abends noch eine Party. Jede Minute des Tages war sinnvoll gefüllt. Selten gibt es so glückliche Tage. Nur die Goldkettchen stellten sich als unecht heraus.

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Verteilung

Jährlich einmal veranstalten die Neheimer Ratsdamen und -herren in Gedenken an einen Adligen, der der Stadt vor Jahrhunderten ein Wäldchen geschenkt hat, um im Kölner Dom bestattet zu werden, eine Stütchenverteilung an Kinder, besuchen die sterblichen Überreste, feiern einen Gottesdienst und gehen abends essen. Eine Schule und eine Straße wurden nach dem Grafen benannt, dieses Jahr sogar ein kleines Musikfestival. Wer weiß, denkt Herr Nipp, vielleicht findet sich ja irgendwann ein kinderloser Multimillionär, der die städtischen Schulden aus seinem Erbe tilgt, statt das Vermögen sinnlos in Dubai zu verballern und darum bittet, dass den ganzen Herbst über das gefallene Obst nicht unter den Bäumen verrottet, sondern zu Saft gepresst an Bedürftige verteilt wird. Wäre eine schöne Geste. Dafür könnte ihr oder ihm dann auch gerne ein Platz oder eine Straße, eine Bildungsstätte oder ein Kindergarten gewidmet werden. Wahrscheinlich wäre es nur schwierig, einen Platz im Kölner Dom zu bekommen, aber ein Denkmal auf dem alten Möhnefriedhof läge eh viel näher.

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Training

Gut, in regelmäßigen Abständen, nein, eher unregelmäßig, aber drei Mal die Woche läuft er seine Runde. Dauerlauf der mittellangsamen Sorte. So vier bis neun Kilometer, seit einigen Jahren keine längeren Strecken mehr. Und das macht ihm sogar gewisse Freude. Nur manchmal überkommt ihn nach wenigen Metern schon eine große Unlust und die muss er dann mit starkem Willen und konzentrierter Atmung überwinden. Was wäre denn, wenn er frühzeitig aufstecken würde? Wahrscheinlich würde er sich völlig gefrustet eine Tüte Chips quasi inhalieren.

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Cafe’oder Kaffee

Zwischensurch findet sich immer mal eine Zeit, in der er einen Kaffee trinkt. Sein Vater ist daamals immer auf den Wegen zwischen zwei Baustellen zu seiner Mutter gefahren. Da gab es einen Kaffee im Sieb aufgebrüht und eine Stulle. Oft mit Hausmacherleberwurst oder -blutwurst, manchmal auch mit selbst gemachter Konfitüre. Eine kurzes Gespräch, nach Befinden und dem Rest der Familie. Seine Mutter war Dreh- und Angelpunkt. Da Herr Nipp leider keine Mutter mehr hat, was er oft bedauert, geht er in solchen Erholungspausen oft in die kleine Cafeteria nebenan, trinkt einen Milchkaffee und verspeist in aller Ruhe ein belegtes Brötchen mit scharfem Senf oder eine Brezel. Die Gespräche, denen er dort meist als stiller Zuhörer beiwohnt, sind immer spannend. Da erfährt er so ziemlich alles über Kollegen und darüber hinaus. Und wenn mal zwei Damen bedienen, die ihn nicht kennen, auch über sich selbst.

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Tableau

An der Wand hat Herr Nipp ein wirklich seltsames Bild entdeckt, in drii Reihen übereinander sind jeweils füf Bildelemente nebeneinander angeordnet. Da es sich offensichtlich um Kaltnadelradierungen handelt, also solchen, bei denen mit der Stahlnadel direkt in die Zink- oder Kupferplatte geritzt wird, sind die Elemente nur schwarz auf weiß gedruckt. Soweit er weiß, gab und gibt es nur wenige Radierer, die ihre Arbeiten farbig planen. Herkules Seegers etwa, ein Zeitgenossen Rembrandts. Schwarze Linien und einige Grauwerte bestimmen also die kleinen Einzelbilder. Was ihn verblüfft, ist noch nicht einmal, dass sich Texte auf jedem Teil finden, sondern fast jedes Motiv zeigt sich völlig verschieden vom nächsten. Eine Frau, ein Campingwagen, Felsen, ein Teeboiler, Paprika, ein Scheunentor, alles mögliche eben. Alles verschieden und trotzdem eins ergebend. Auf den zweiten und dritten Blick erst gibt die Arbeit zu verstehen, dass es sich um ein Reisetagebuch handelt. Das hätte man auch einfacher haben können, denkt er. Wer hat denn schon die Muße, jedes Wort spiegelverkehrt zu ritzen, damit es richtig herum nach dem Drucken gelesen werden kann? Schade, dass dieses Bild unverkäuflich ist, das würde er sich auch gerne in die Wohnung hängen.

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